Predigt
zu den Gottesdiensten
am Ostersonntag 1.4.2018 Süddeutsche
Gemeinschaft Schwäbisch Hall (Glocke), Kreuzäckergemeinde
Schwäbisch Hall
und am Ostermontag 2.4.2018 im Pflegestift Teuershof
Warum wir hier sind, du
weißt es, Herr.
Deine Auferstehung ruft die Sehnsucht in uns wach, die Sehnsucht nach Leben,
nach gelingendem Leben, nach erfülltem Leben.
Du bringst unsere Sehnsucht auf den Weg.
Segne unsere Sehnsucht, schenke uns den Raum und die Zeit, ihr nachzugehen,
segne unser Wollen und Wünschen, segne unser Miteinander, segne dieses
Auferstehungsfest.
Wir bitten Dich für die
Tauffamilie – gib Deinen guten Segen auf die Taufe von Annelie, mach die Eltern
und den Paten für ihr schönes Amt bereit. Dir sei Ehre in Ewigkeit.
1. Samuel
2,1-8a:
1. Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist
fröhlich in dem HERRN, mein Haupt ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich
weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.
2. Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir
ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
3. Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches
Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der HERR ist ein Gott, der es merkt, und
von ihm werden Taten gewogen.
4. Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die
Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
5. Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und
die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und
die viele Kinder hatte, welkt dahin.
6. Der HERR tötet und macht lebendig, führt hinab
zu den Toten und wieder herauf.
7. Der HERR macht arm und macht reich; er
erniedrigt und erhöht.
8. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und
erhöht den Armen aus der Asche, da er ihn setze unter die Fürsten und den Thron
der Ehre erben lasse. Denn der Welt Grundfesten sind des HERRN.
Liebe Gemeinde!
Am Anfang war die
Sehnsucht. Sie fiel nicht vom Himmel. Die Sehnsucht reifte in ihr heran.
Wie mein Kind, dachte sie.
Am Anfang war die Sehnsucht ganz klein und kaum zu spüren. Wenn die Sehnsucht
sich regte, war es wie sanfter Fallwind, wie ein leichtes Ziehen in der Seele.
Einmal war es in der
Buchhandlung. Sie hatte einen Bildband aufgeschlagen. Eine Fotografie hatte sie
berührt. Als sie die Buchhandlung eine halbe Stunde später verließ, dachte sie
schon nicht mehr daran.
Ein andermal hörte sie im Autoradio ein altes Lied. Sie summte die Melodie noch
eine kleine Weile vor sich hin, dann wurde sie abgelenkt und hatte sie schnell
wieder vergessen.
Und einmal glaubte sie, eine frühere Freundin im Menschengewimmel einer
Fußgängerzone wiederzuerkennen. Sie lief schneller,
um sie einzuholen. Sie rief ihren Namen, und sie hatte sie gerade erreicht, da
drehte sich eine fremde Frau zu ihr um und blickte sie fragend an. An der
nächsten Ecke war auch diese flüchtige Begebenheit wieder aus ihren Gedanken verschwunden.
Aber einige Wochen
später war die Sehnsucht dann nicht mehr zu übersehen. Wie mein Kind in meinem
Bauch, dachte sie. Die Sehnsucht begann, ihre Gedanken auszufüllen.
Und nun fing auch die Zeit an, in der sie viele Stunden vor dem Regal mit ihren
alten Tagebüchern und Fotoalben zubrachte. Aufgeregt trug sie einzelne Blätter
zum Computer, gab sie Namen, Orte und Begriffe in eine Internetsuchmaschine
ein, immer aufs Neue beseelt von der Hoffnung, ein paar Bilder, Erinnerungen
und Hinweise auf den Verbleib einiger Menschen zu erhalten. Sie fand wohl ein
paar Hinweise, doch nie den Mut, sich bei ihnen zu melden.
Oft vergaß sie über das
Forschen und Grübeln die Zeit. Als ihr Mann einmal nachts um drei schlaftrunken
an den Schreibtisch kam, um nach ihr zu sehen, wusste sie, dass etwas geschehen
musste. Nun war die Sehnsucht reif.
Wie mein Kind in mir, das zum Leben drängte, dachte sie. Wieder will etwas in
mir zum Leben.
Mitten in der Nacht war
die Idee geboren. Sie setzte sich in ihrem Bett auf, rüttelte ihren Mann wach
und sprach: Ich wünsche mir, dass du mit mir an einen bestimmten Ort fährst,
jetzt gleich, am Wochenende, wenn es etwas wärmer wird. Wirst du das für mich
tun? Ihr Mann brummte und drehte sich auf die Seite. Sie wertete das als
Zustimmung.
Nun sind sie angekommen.
Unter ihren Füßen schlängelt sich der Weg einen Berg hinauf. Der Weg ist ihr vertraut.
Als Kind hatte sie sich an der Hand ihres Vaters hier hinaufziehen lassen.
Später war sie immer dann hierher zurückgekehrt, wenn die Sehnsucht nicht mehr auszuhalten
war; wenn eine schwierige Entscheidung zu treffen war, wenn Ratlosigkeit sie nicht
weiterbrachte, wenn sie hier oben nach dem Überblick über ihr Leben suchte.
Endlich oben angekommen,
findet sie die vertraute Bank, dahinter das große, vertraute Holzkreuz. Mehr
braucht es nicht. Ihr Mann packt den kleinen Wanderrucksack aus, reicht ihr einen
Becher mit heißem Kaffee, schält einen Apfel. Sie lässt sich gegen das
Holzkreuz sinken, Sonnenlicht blendet sie; sie schließt die Augen. Hinter den
Augenlidern bleibt es hell.
Vertraute Worte kehren
zu ihr zurück, suchen sich ihren Weg in ihre Gedanken: Es ist schön, es ist
gut, jetzt hier zu sein.
Willst du mir helfen, Gott allen Lebens?
Sie betet still zwei Namen himmelwärts, dann verliert sie sich im Gebet, in
Erinnerungen, in Gedanken, in Geschichten. Darüber schläft sie ein.
Wir lassen sie ein wenig
in Ruhe, dort oben, an ihr Kreuz gelehnt, das Gesicht himmelwärts.
Wir wissen nicht, was genau die Sehnsucht in ihr ausgelöst hat: der Bildband in
der Buchhandlung, das alte Lied aus dem Autoradio, die Ahnung eines vertrauten
Menschen im Gewimmel einer Fußgängerzone. Oder etwas ganz anderes. Wir wissen
auch nicht, wen sie sucht. Wir müssen nicht alles wissen.
Aber wir müssen wissen:
Alles ist möglich. Weil sie dem Osterlied ihrer Sehnsucht folgt. Da sind alle
Richtungen denkbar. Dieses Lied ist immer mehrstimmig. Lass sie ruhig nach
einer alten Freundschaft suchen, die sie aus dem Blick verlor. -
Oder lass sie nach einer früheren Arbeitskollegin suchen, die plötzlich entlassen
wurde und über Nacht aus ihrem Leben verschwand. Oder, wenn du es willst, dann
lass sie sogar nach Menschen suchen, die es gar nicht mehr gibt, gar nicht mehr
geben kann, weil einer ihrer Vorfahren sie einst als einfacher Lokomotivführer
in die Vernichtungslager gebracht hatte. Wenn du es willst, lass sie heute nach
deren Spuren, nach möglichen Überlebenden, nach deren Kindern suchen.
Die Sehnsucht eines
Osterliedes kennt viele Richtungen. Das Lied ist immer mehrstimmig, meint immer
mehr als das eine Gesicht, dem wir unsere Sehnsucht schenken.
Wer singt bei dir mit, wenn du an Sehnsucht denkst? Und welche Melodie stimmt
die Sehnsucht in dir an, an diesem Ostertag?
Sie hat sich mit dem Weg
auf den Berg zu ihrer Bank, zu ihrem Kreuz, für die Ostermelodie entschieden.
Wie so viele andere Frauen vor ihr. Lange vor ihr. Sogar lange, bevor es Ostern
gab. Die Ostermelodie wird quer durch alle Zeiten angestimmt. Am Anfang war
immer die Sehnsucht, diese Gottesberührung Sehnsucht. Sie sucht sich ihre
Melodie, sie sucht sich ihr Lied. Sie reift in dir heran, bis sie ins Leben
drängt wie ein Kind und singen will vor Glück.
Frauen können uns diesen
Weg der Sehnsucht bis zur Ostermelodie am besten beschreiben. Drei Frauen trieb
die Sehnsucht ans Grab Jesu. Sie kehrten wieder, berührt von der Auferstehungsbotschaft,
mit einer Ostermelodie auf den Lippen. Die Bibel erzählt uns heute auch von
Hanna, die ihre Sehnsucht einst, in uralter Zeit, einen Berg hinauf zum Tempel
trieb. Mit ihrem Mann Elkana wünschte sich Hanna ein
Kind. Je länger der Kinderwunsch unerfüllt blieb, umso stärker regte sich die
Sehnsucht in ihr. Viele Frauen können ein Lied davon singen. Bevor ein Kind zur
Reife kommt, reift ebenso lange die Sehnsucht. Hanna geht ihren Weg auf den
Berg. Es ist ein steiler Weg. Ein Weg der Entbehrung, ein Weg der Einsamkeit,
ein Weg der Sehnsucht. Weiter vorne geht noch eine Frau an der Seite ihres
Mannes. Die hatte ihm Kinder geboren. Hanna geht ihren Weg alleine. Irgendwann
wird die Sehnsucht in ihr übermächtig und drängt ins Leben. Die Sehnsucht
drängt mit Macht ins Leben, sie sucht sich ihren Weg, und der führt Hanna den
Berg hinauf zum Tempel. Dort sucht und findet sie vertraute Worte zum Gebet.
Gott, mein Gott, willst
du an mich denken, willst du mir helfen? -
Du, der du alles Leben schenkst, ich bitte dich um Leben und verspreche dir,
dieses Geschenk mit dir zu teilen. Sie verliert sich in ihrem Gebet, in
Gedanken, Erinnerungen, Geschichten.
Sie erschrickt, als eine
Hand sich auf ihre Schulter legt und ein Priester zu ihr spricht: Frau, deine
Lippen bewegen sich unentwegt. Sag, bist du betrunken? Nun ist der Punkt
erreicht. Die Sehnsucht drängt mit Macht ins Leben. Hanna schweigt nicht
länger. Hanna erhebt sich. Hanna sagt: Nein, mein Herr! Ich habe Gott mein Herz
ausgeschüttet. Ihr Herz schlägt dabei bis zum Hals. Der Priester segnet sie:
Möge Gott deinen Wunsch erfüllen. Die Bibel fügt hinzu, dass sie ihres Weges
ging und aß und nicht mehr so traurig d'rein sah. Die
Bibel erzählt uns auch, dass Hanna später ein Kind bekommen wird und sogar noch
ein paar Kinder mehr.
Später ist später.
Wichtig ist, dass sie jetzt, auf diesem Berg, ihre Lebensmelodie wiedergefunden hat, dass sie als Veränderte ihren Weg ins
Leben zurückgeht. Der Berg liegt nicht mehr vor ihr, das Land liegt weit unter
ihr. Sie hat ihren Kopf erhoben, sie sieht nicht länger nur die Steine und den
Dreck zu ihren Füßen. Sie sieht mit den Augen der Hoffnung. Sie sieht ein
weites Land. Sie weiß sich wertgeschätzt und geachtet.
Der Mut kehrt in ihr
zurück, sie weiß nicht, wie, aber das Schweigen in ihr verstummt.
Als Gesegnete macht sie sich mit einem neuen Blick - auf sich und andere - auf
den Weg in ihr Leben zurück.
Sie singt uns damit in uralter Zeit ein Lied, das bereits die Melodie des
Osterfestes anstimmt.
Es führt ins Leben, zu einem neuen Blick aufs Leben.
In diesem Lied kommt
alles zur Sprache, was uns Menschen ausmacht und wonach Menschen sich sehnen
können.
Die Lebenssehnsucht eines jeden Einzelnen von uns ist darin eingeschlossen wie
auch die Sehnsucht für die, die mit uns leben, für unsere Welt. –
Hanna konnte in ihrer
Sehnsucht noch nicht wissen, dass sie wirklich ein Kind bekommen würde. Sie
konnte noch viel weniger wissen, dass ihr Kind einmal als Priester Samuel zum
Hoffnungslied eines ganzen Volkes in schwerer Not werden würde.
Am Anfang war die
Sehnsucht. Gottesberührung Sehnsucht. Die Sehnsucht fängt immer klein an. Doch
die Sehnsucht meint von Anfang an mehr. Die Sehnsucht der Ostermelodie ist
immer mehrstimmig. Gott singt in unserem Lied eine tragende Stimme mit, in drei
Weisen: Es ist die Geiststimme, die uns von der Sehnsucht nach Leben erzählt.
Es ist die Schöpferstimme, die die Sehnsucht wachsen lässt und mit Macht ins
Leben ruft, die unsere Sehnsucht Gestalt werden lässt und greifbar macht. Und
es ist die Christusstimme des Auferstandenen, der uns begleitet vom Berg herab
in all unsere Versuche und Bemühungen, auf die wiedergefundene
Sehnsucht mit unserem Leben zu antworten, der uns den Weg weist ins Leben.
Der Weg der Sehnsucht
ist der Weg, der zur Auferstehung ruft. Wenn wir die Ostermelodie singen, hören
wir immer einen vierstimmigen Gesang. Gott singt in unsere Ostermelodie hinein,
als Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Kehren wir zurück zu
unserer Frau in unserer Zeit, die auf ihrem Berg an dem Holzkreuz lehnt und nun
wieder erwacht. Ihr Mann hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt: Wir müssen
langsam an den Rückweg denken. Ich habe mir was gewünscht, sagt sie. Was denn?, fragt er. Das verrate ich dir noch nicht! Beide lachen
und sehen in das Land weit unter sich.
Gott, der du uns
berührst, lass sie nun den Mut finden, eine alte Freundin aufzusuchen, die sie
aus dem Blick verloren hatte. Oder lass sie Blumen senden an jene Kollegin, die
nach ihrer Entlassung aus ihrem Leben verschwand. Oder, wenn du es willst, gib
ihr die Kraft, irgendwann einen Brief zu schreiben an ein Kind, einen
Nachfahren jener Menschen, die ihr Großvater einst als einfacher
Lokomotivführer in ein Vernichtungslager gebracht hatte. Gott, der du alles
Leben schenkst, du hast sie mit Sehnsucht berührt. Willst du ihr helfen? Segne
ihren Weg. Wir singen mit ihr das Lied von der Sehnsucht nach Leben. Wir singen
mit ihr dein Osterlied.
Amen.
Verfasser: Pfr. Jochen Lenz 2012
bearb. durch Pfr. i.R. Gerhard Bergius, Michelfeld-Gnadental
2018
Es gilt das gesprochene Wort.