Gebete und Predigt
zu den Gottesdiensten
am 12. Sonntag nach Trinitatis
(19.08.2018)
in Michelfeld und Neunkirchen
Wir danken dir, Schöpfer des
Himmels und der Erde,
dass du auch uns zum Leben berufen
und uns alle mit Begabungen beschenkt hast.
Lass uns aus dem, was du uns
gegeben hast,
etwas Sinnvolles machen
zur Ehre und zum Ruhm deines Namens.
Bewahre uns vor der Ängstlichkeit.
Lass uns tätig werden im Vertrauen auf deine Güte.
Herr, erhöre uns!
4.
Und
des HERRN Wort geschah zu mir:
5.
Ich
kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe
du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die
Völker.
6.
Ich
aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu
predigen; denn ich bin zu jung.
7.
Der
HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst
gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
8.
Fürchte
dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der
HERR.
9.
Und
der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir:
Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10. Siehe, ich setze dich heute über Völker
und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben
sollst und bauen und pflanzen.
Die „NSU“-Morde
liegen jetzt schon ein paar Jahre zurück, aber der Rechtsruck und die
Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft, sind geblieben. - Wie wird jemand
zum (Neo‑)Nazi, liebe Gemeinde?
Warum schlägt oder erschlägt ein Mensch
seinen Mitmenschen, wenn der eine dunklere Hautfarbe hat oder obdachlos ist?
Pädagogen und Psychologen, Kriminal- und
Politikwissenschaftler können eine Reihe von Gründen anführen. Manche leuchten
ein, andere nicht. Doch eines scheint vielen Gewalttätern, Rechtsradikalen und
anderen Verbrechern gemeinsam zu sein:
Sie besitzen zu wenig Selbstwertgefühl.
Schon die Eltern haben ihnen – auch
zuweilen durch Prügel – meist vermittelt, dass sie nichts wert sind. Und
Schulversagen und Arbeitslosigkeit verschärfen die Erfahrung.
Ich weiß nicht, ob es inzwischen keine
Unterschiede mehr gibt zwischen ostdeutschen und westdeutschen Jugendlichen.
Aber vor ein paar Jahren war es noch so, dass für heranwachsende Ostdeutsche
die Konfrontation mit den Wessis dazu kam, die selbstsicher auftreten und
deutlich sagen, was sie wollen, beim Einkaufen wie in der politischen
Diskussion. So verstärkt sich für manche Jugendliche das, was schon vor der
Wende da war, das Gefühl, Verlierer der deutschen Geschichte zu sein. Mancher
ostdeutsche Jugendliche kompensierte sein Unterlegenheitsgefühl nun mit einem
aufgesetzten Selbstbewusstsein. Er behauptet, er sei „stolz, ein Deutscher zu
sein“, und verachtet alles, was er für undeutsch hält. Er gibt sich wie ein
richtiger Mann, trägt ultrakurze Haare und Bomberjacke und hasst, was schwach
aussieht.
Freilich, auch wer in stabilen
politischen und ökonomischen Verhältnissen aufwächst, erfährt: Selbstvertrauen
kann man nicht selber machen, geschweige denn kaufen. Es entsteht im Menschen
nur, wenn er von anderen akzeptiert wird. Es entwickelt sich, wenn andere ihm
etwas zutrauen. Wenn ihm gesagt wird: „Das hast du gut gemacht“ und: „Mach das,
- das kannst du“ - so jedenfalls handelt ein weiser Pädagoge. Und so behandelt
Gott den Jeremia, der an sich zweifelt.
Heute ist das ja sicher nicht mehr so –
hoffentlich -, aber es soll Eltern gegeben haben, die ihren Kindern oft den Mut
nahmen nach dem Motto: „Das verstehst du nicht. Das kannst du nicht. Dafür bist
du noch viel zu jung.“
Gott
dagegen ermutigt Jeremia. Er traut dem jungen Mann etwas zu, was dieser sich selber
nicht zutraut.
Viele vermeintlich erfahrene Menschen stellen eher die Risiken heraus und werten die
Chancen ab, wenn junge Leute etwas unternehmen wollen.
Nun verschweigt auch Gott nicht die Gefahren, die
Jeremia drohen. Doch er spricht ihm Mut zu. Und Gott erinnert Jeremia an dessen
Berufung.
Sie ist ihm schon in die Wiege gelegt. Er muss
ihr nur noch folgen. Und Gott will ihm dabei helfen. Wohl wird Jeremia eine
Aufgabe zugemutet, die ihm Angst macht. Auch wenn Gott ihm sagt: „Fürchte dich
nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir, und ich will dich erretten.“ - doch gerade
dieser Satz macht Angst. Denn wenn Gott mir Rettung zusagt vor Menschen, dann
muss die Aufgabe, die er hat, doch recht gefährlich sein. Wer würde sich so ein
Leben freiwillig aussuchen? – Jeremia litt unter seiner Berufung:
„Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin“,
so klagt er, und: „Warum währt doch mein Leiden so lange und sind meine Wunden
so schlimm, dass sie niemand heilen kann?“
„Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich
nicht falle.“ –
Offensichtlich ist das Leben voller Leiden,
liebe Gemeinde. Die Geschichte der Menschheit ist voll der Leidensgeschichten.
Die Geschichte der Kirche beginnt mit einer Leidensgeschichte.
Die Christen im Sudan, in der Türkei, in China
und anderswo, können auch heute davon erzählen. Und wenn wir in das Alte
Testament hineinschauen, dann entdecken wir da nicht nur den leidenden Jeremia,
sondern auch einen Mose, der gegen seinen Willen berufen wird, und einen Jona,
der vor dieser Aufgabe davon läuft und dennoch Gottes Auftrag nicht entkommt.
Da kann man schon fragen: Gott, bist du nicht
ein Gott des Friedens? Hast du nicht selbst gesagt, dass du Gedanken des
Friedens und nicht des Leides mit uns hast? Du bist doch unser Vater! Muss es
denn wirklich sein, dass Menschen in deinem Dienst so unter Druck geraten? Muss
es denn wirklich sein, dass Menschen, die zu dir gehalten haben, auf dem
Scheiterhaufen landeten? Dass du deine Frommen immer wieder durch ein finsteres
Tal führst, heimsuchst bei Nacht, dahin führst, wo sie ganz bestimmt nie
hingewollt haben? Muss das wirklich so sein?
Gottes Boten aber zeichnen sich dadurch aus,
dass sie bereit sind, die Leiden zu tragen.
So wie schon von dem Knecht Gottes im Alten
Testament gesungen wird: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und litt unsere
Schmerzen.“
So, wie wir das an Jesus Christus ablesen können,
so wie das ein Pater Kolbe und Dietrich Bonhoeffer und manch andere taten.
Daran erkennt man die Echtheit der Botschaft,
dass die Boten bereit sind, durch die Tiefen zu gehen, selbst zu gehen und
nicht andere hineinzuschicken oder mit hinein zu reißen. - Und so erhält auch
ihre Botschaft den rechten Tiefgang.
Sicher, dass Gott zu einem Menschen direkt
spricht und ihn zum Propheten beruft, war schon in alttestamentlicher Zeit die
Ausnahme.
Doch heute gilt wie damals: Jede Frau und jeder
Mann hat eine Berufung. Das heißt, jedem Menschen hat Gott eine Begabung
geschenkt und eine Aufgabe anvertraut, die er erfüllen kann und die dem Leben
Sinn gibt, selbst dann noch, wenn es durch ein Tal des Leidens geht.
Was das ist, liebe Gemeinde, muss jeder Einzelne
von uns selbst herausfinden. Und dies dauert oft ‑ anders als bei Jeremia
‑ ein ganzes Leben.
Dabei haben andere, Eltern und Lehrer, Freunde
und Kollegen, Psychologen und Pfarrer, eine wichtige Aufgabe. Sie können, sie
sollen ihrem Nächsten als Geburts- und Entwicklungshelfer dienen. Aber nicht
nur professionelle Berater, nein, jeder Mensch kann und soll beim Mitmenschen
Fähigkeiten wecken und fördern. Dazu gehört auch das
Lob für das, was gelingt. „Positive Verstärkung“ nennen das die Pädagogen.
Dies leuchtet ein und ist doch alles andere als selbstverständlich. Wie oft habe ich mir
selber schon vorgenommen, jemandem zu schreiben, der öffentlich etwas sagte
oder tat, was ich gut fand. Doch dann hatte ich irgendwie keine Zeit. Wenn ich
dagegen kritisieren will, reagiere ich schnell und energisch. Eine schwäbische
Untugend: nichts sagen oder höchstens: „nicht schlecht“ – das ist des Schwaben
höchstes Lob.
Dabei weiß
jeder aus eigener Erfahrung: Kritik ist gut, Lob ist besser. Elternhäuser und
Schulen, Vereine und Kirchen, die das beherzigen, können Gewalttaten vorbeugen!
Sie bringen selbstbewusste und selbstsichere Menschen hervor, die eher bereit
sind, Leiden auf sich zu nehmen, als anderen welches zuzufügen. Und sie können
Mitmenschen tolerieren, die anders aussehen, glauben, denken, fühlen und leben.
Warum sprechen uns denn die Lieder eines Paul
Gerhardt so stark an oder eines Dietrich Bonhoeffer? Warum haben sie denn nach
Jahrzehnten oder gar nach Jahrhunderten uns immer noch etwas zu sagen? Doch
darum, weil hinter ihrem Leben eine Erfahrung mit Gott steht, gepaart mit der
Erfahrung des Leides. Das kann man nicht aus Büchern lernen. Das vermittelt
kein theologisches Examen.
Freilich, keiner von uns ist Jeremia. Keinem von
uns ist es zu wünschen, dass er durch solche Tiefen gehen muss. Aber die Kirche
Jesu Christi - und das sind wir doch alle, die wir hier sind - , diese Kirche
Jesu Christi ist immer wieder aufgerufen, „auszureißen und einzureißen, zu
zerstören und zu verderben, zu bauen und zu pflanzen“, so wie es hier in
unserem Text heißt.
Der Prophet spricht aus, was Gott dann auch tut:
Gott lässt leben und sterben, lässt blühen und verwelken. Von ihm kommt beides
„... Freud und Leides...“
Wir können verstehen, dass Jeremia sich wehrt
gegen einen Auftrag, der ihm nur Ärger und Undankbarkeit einträgt.
Wir wehren uns ja auch dagegen. Auch wir sind
gleich bei der Hand zu sagen, auch wenn es nicht um Kopf und Kragen geht: Ich
bin zu jung oder zu alt. - Warum soll ich mir Ärger einheimsen? Habe ich nicht
sonst schon genug am Hals? Soll ich mir das auch noch antun? Und wer von uns
könnte schon sagen wie Jeremia: „Gott hat mir sein Wort in den Mund gelegt“?
Woher nehme ich denn das Recht, mich hinzustellen und zu sagen: Das, was ihr da
macht, das ist nicht in Ordnung?
Doch sind wir nicht alle getauft? Sind wir nicht
hineingeboren durch unsere Taufe zu einem verantwortlichen Glied am Leibe
Christi? Haben wir nicht bei unserer Konfirmation dazu unser Jawort gegeben?
Drängt uns nicht das Wort Gottes, der Gemeinde Schädliches abzubauen, um Neues
zu pflanzen? Stehen wir nicht als Evangelische hier in einer guten Tradition?
Wir können es doch nicht machen wie jener
Schiffsreisende: Als sein Sohn in die Kajüte stürzt und ruft: Vater, das Schiff
geht unter! Da soll er gesagt haben: Was regst du dich denn auf? Das Schiff
gehört mir doch gar nicht.
Wir sind Teil des Volkes Gottes. Es geht um unsere
Kirche. Es geht um unsere Gemeinde. Wie können wir unseren Beitrag leisten,
gegen die Fehleinstellung mancher Mitmenschen, denen diese positive Zuwendung
bisher zu wenig erhalten haben?
Wir sind aufgerufen, Bauleute zu sein am Reiche
Gottes, Bauleute mit Mut, Phantasie und Liebe.
Amen
Herr Jesus
Christus, Du bist Leben und bringst Leben, Du Brot des Lebens, Herr der Welt.
Wir
entdecken und erfahren, dass so oft das Leben sich nicht entfalten kann, dass
es bedroht und abgewürgt wird:
Da sind
Schritte von Mensch zu Mensch, die nicht getan werden, da bleiben vielleicht
unsere besten Fähigkeiten liegen, weil wir Angst haben und weil sie nicht in
den Lauf unserer Zeit zu passen scheinen,
Wir
bitten dich: Herr, erbarme dich.
Da sind
Menschen einsam und verkümmern, weil sie keine Aufmunterung bekommen und keinen
Menschen haben, der an ihnen Anteil nimmt, da sterben Menschen in Kriegen, und
Terroranschlägen, die wir nicht verstehen können und aus denen der Weg zum
Frieden schwer ist,
Wir bitten
dich: Herr, erbarme dich.
Da sterben
Menschen an Hunger, aber die Erde könnte alle ernähren, da werden die Lebensgrundlagen
zerstört, weil wir auf unsere Lebensumstände nicht verzichten wollen.
Wir bitten
dich: Herr, erbarme dich.
Und, Herr,
da ist auch bei Deinen Christen viel zu wenig zu spüren, dass Du uns aus dem
Tod zum Leben, aus der Sünde zur Gerechtigkeit, aus der Ausweglosigkeit in die
Freiheit geführt hast.
Wir bitten
dich: Herr, erbarme dich.
Darum aber
wollen wir Dich heute bitten, dass Deine Gnade für uns nicht nur ein frommes
Wort ist, sondern eine Lebenskraft,
eine Kraft zu einem anderen, guten, neuen Leben, das nicht auf Kosten anderer
Menschen und mit Zerstörung der Natur erkauft wird, sondern das Dein Leben ist,
ermutigend, heilend, helfend.
Unsere Welt
braucht Deine Hilfe.
Wir bitten
dich: Herr, erbarme dich.