Gut möglich, dass nahe Sankt Erhardt eines Tages „My conviction“ erklingt. Oder „Easy to be hard“. Nicht weil Gerhard Bergius sich zurücksingt in seine Zeit im „Tribe“ - auf der Bühne, in „Haare“, dem deutschsprachigen „Hair“. Sondern weil der evangelische Pfarrer und seine Familie ihr Zuhause vis-à-vis der Kirche wieder einmal in einen kleinen Kulturtempel verwandeln. Wer auch immer Nummern aus dem Rock-Musical zum besten gäbe: Mit Qualität ist zu rechnen - beweisen die ersten 50 Walxheimer Pfarrhauskonzerte. Die ersten 50 Veranstaltungen. Klingt nach einer optimistischen Prognose für den Fortgang jener Reihe, die 1999 im März Premiere hatte. Und rasch ein originelles Profil entwickelt hat, das in dieser Ausprägung im regionalen Kulturbetrieb kein zweites Mal anzutreffen ist: darstellende Kunst mit Musik als ganz deutlichem Schwerpunkt, auf professionellem Niveau, geboten im charmanten Ambiente eines äußerst lebendigen Sechspersonenhaushaltes, im Pfarrhaus bei Bergius, bei Eliane, Lea, Paulina und Gabriel, deren Mutter Simone und deren Vater Gerhard. Der als Kulturschaffender, als Macher, zuversichtlich in die Zukunft blicken kann. Allein deshalb, weil sich seit der Geburtsstunde vor gut acht Jahren der imaginäre Vorhang regelmäßig im Zwei-Monate-Rhythmus geöffnet und somit in protestantischer Tradition und zeitgemäßer Art das Pfarrhaus als einen Ort erlebbar gemacht hat, an dem Bildungsgüter gepflegt werden und der ein Refugium ist für Kultur. Solche wird von der Bergius-Reihe nicht nur in stattlichem Umfang aufs Land gebracht, sondern auch in schillernder Vielfalt und in einer Qualität, die üblicherweise städtischen Nährboden bevorzugt. Doch auch der Unterschneidheimer Teilort bietet offenbar gute Voraussetzungen, dass ein kleines Pflänzchen gedeihen und sich zu einem festverwurzelten Baum entwickeln kann - ohne Kinderkrankheiten, ohne nennenswerte Probleme: Die Pfarrhauskonzerte seien von Anfang an „ein Selbstläufer“ gewesen, resümiert Bergius. Dessen Wirkungsstätte ist Walxheim vor elf Jahren geworden, nach beruflichen Stationen in Stuttgart, Heidenheim-Mergelstetten und Ulm-Wiblingen, nach der Studienzeit in Wien und Tübingen, nach Lebensphasen in München, Berlin und Halle/Saale, wo er zur Welt kam. Der Vater Psychologieprofessor, die Mutter Klavierlehrerin. Und Bruder Wolfgang ist längst ein renommierter Cellist, der mit Ehefrau und Pianistin Caroline Bergius schon mehrfach zu hören war in Walxheim. Wo inzwischen zahlreiche namhafte Künstler gastiert haben, deren unterschiedliche stilistische Ausrichtung die Pfarrhauskonzerte zu einer Institution gemacht haben, in der klassische Kammermusik ebenso willkommen ist wie Bigband-Jazz, Chanson, rezitierte Lyrik, Tango oder ein Mix aus Funk, Rock und Hip-Hop. Wo mit Liedermacher Thomas Felder und Tochter Johanna Zeul zwei Kinder des poetischen Musikgenres begeistert haben. Mit der für ihre Gimmicks bekannten Band „Tomato Kiss“ eine experimentierlustige Truppe. Mit Bandoneonist Marcelo Jaime Nisinman ein Schüler Astor Piazzollas. Mit Adrian Lazar ein anerkannter Violinist. Und mit Michael Nuber ein erfolgreicher Konzertpianist, um nur ein paar wenige zu nennen, die hier waren im Rahmen jener Reihe, deren Programm seit rund vier Jahren zusätzlich stets ein zweites Mal geboten wird: in Gnadental bei Schwäbisch Hall, wo Bergius mit seiner Familie seinen Ruhestand zu verbringen gedenkt, in einer Mühle. In der dann weiterhin Kultur kredenzt werden soll. Von Künstlern, die wie bislang im Regelfall als Gage das erhalten, was die Spendenbereitschaft des treuen, teils längere Fahrtstrecken nicht scheuenden Publikums hergibt. Und den Erlös aus dem Verkauf von Kuchen, den Ehefrau Simone backt. All diese Rührigkeit deutet nicht einmal auf die Möglichkeit des beruflichen Aufhörens hin, darauf, dass der junggebliebende Geistliche, der in den frühen Siebzigern in „Haare“ in Zürich in einer Nebenrolle auf der Bühne sang, davon gar nicht so weit entfernt ist: Gerhard Bergius feiert im Oktober seinen 60. Geburtstag. Autor unbekannt, Erscheinungsjahr 2007